Der Tod ist im Topf
twittern die Analysten weltweit
vor den aufgespannten Schirmen
seit es kein Dach mehr gibt
wann halten wir uns
die eigenen Hände über den Kopf
Die Welt liegt vor der Haustür
dahinter nichts Aufregendes
nur eben ich
mein Hund ein paar Pflanzen
die mich durchs Jahr begleiten
im Innern die Wände sind mit Wörtern besät
keimen ich weiß nicht auf wessen Geheiß
und manchmal auf Zuruf
durch die Decke funkeln die Sterne
während die Sonne sich an Stäubchen verliert
durchs schalldichte Glas seh ich den Wolken nach
spielen Kontinentalverschiebung im Zeitraffer
ich weiß was die Stunde geschlagen hat
so oder so
jetzt oder jetzt
kein Grund
zur Aufregung
Die Tricks der Götter
verfangen nicht mehr
untaugliches Mimikry
Leda erklärt sich für traumatisiert
leidet unter Vogelphobie
ist in Langzeittherapie
Europa besucht
den gealterten Stier in der Geriatrie
und verzeiht ihm seine Jugendsünden
Maria rätselt noch immer
Die Sterne fallen
fallen vor dem Herbst
sie stürzen in den Nächten
in Vorgärten und Balkonpetunien
aufgespießt von schmiedeeisernen Staketen
die Mondaugen einer weißen Katze
auf dem Müllkontainer
Fahrräder liegen an der Kette
jenseits des Gehwegs
auf dem schwarzen Fluss
träumt ein Kahn
seinen blechernen Traum
unsicheren Schritts
geht ein Mensch übers Wasser
Hat niemand ein Pferd
in der Tasche
dass er mir’s liehe
jetzt ist die Zeit
dass man fliegend
das Eine erjagt
fliegend und flüsternd
ich hob über Wolken das Wort
verkrallt in die Mähne
die wächst
flimmernde Härchen aus Licht
über atemschwerer Luft
geteert und entfedert
fällt sie zur Erde
Stein gewordene Worte
zum Gedenken
gehäuft in der Wüste
nicht nur ehedem
menschlicher Städte
ihr Flüstern trägt weit
die grünen Ohren gespitzt
gewärtigt sie ständig das Gras
Abgesaugt
der Schwerkraft entgegen
jene flimmernden Partikel
in den ersten Sekunden
des Todes
heilig ferner Zug des Atems
als Hochamt
aufgehoben das Dasein
in welches größere Sein
entzieht sich dem Wissen
der Kokon jedenfalls
ist leer
Wir wallfahrten aufwärts
stets himmelan ins Rilagebirge
im letzten noch irdischen Winkel
an einem tosenden Bach
hinter hohen Mauern das Kleinod
überfließend bemalte Wehrarchitektur
grazil die sie umgebenden Galerien
mit den Zellen und Klosterräumen
im schummrigen Innersten Weihrauchdunst
viel Edelmetall farbige Fresken
Heiligenbilder bunt bei bunt
vor den Altären flackernde Kerzen
auf dreistufigen Kaskaden aufgepfropft
für die Lebenden zuoberst
für die Kranken
zuunterst für die Toten
auch vor dem obligaten Reliquienschrein
ein Stückchen Rippe ein Fingernagel ein Haar
ein Tropfen Blut irgendeines Heiligen
Verbeugen der Gläubigen
die Mönche blass gelbe Gesichter sind die Stars
Protagonisten auf ihrer imaginären Bühne
vor und hinter der monumentalen Ikonostase
mehrstimmig gesungenes Mysterienspiel
in den angrenzenden Wäldern grunzt der Bär
am Abend –
andachtsvoll trinken wir eine Flasche Melnik-Wein
schlafen in kärglicher Unterkunft
fliehen in der Morgenfrühe
zurück in die heiteren Niederungen der Menschen
*Orthodoxes Nationalheiligtum der Bulgaren,
Weltkulturerbe.
Ein Zinnteller für die Tafel der Götter
umgeben vom Gold den Früchten des Landes
unterm Wegwartenblau des Himmels brodelndem Gewölk
dieses Meer
Proteus schläft seit tausenden von Jahren
seinen Rausch aus
den Winden hat er verboten
über ihn hinweg zu gehen
rundum einen hohen Schild aus Muscheln errichtet
so ruht er sanft träumt von Nereiden
und vergangenen Zeiten voller Tollheit
ideenreich wetteifernd mit den Wolken
Tage und Nächte
ein immerwährendes Werben
das Gekitzel der Fische
der Badegäste an den Sommerstränden
die Nadelstiche der Schiffe
entwerfen seine Träume neu
Der Sommer war noch nicht
ganz zum Stillstand gekommen
ein paar Nachblüten
hier und dort
Disteln und Mohn
am Rand der Sonnenblumenfelder
unterm hohen Blau
mit seinen Wolkenschiffen
saßen wir
Tango lento tanzende Schatten
tranken Wein
trocken und kühl
aus schwitzenden Gläsern
was soll man sagen
alles in allem
ein Sommertag
Unterm Sonnenschirm Gerüche
Kuchen Kaffee und ganz frisch gezapftes
Bier und im Hafenwasser durch ein
Zierspalier mit knallgelben kleinen Äpfeln
spiegelt sich die schräge Sonne
Schlote Kargotürme Kräne
Möwen Enten Blesshuhn Schwäne
und ein Kormoran
Auf der kleinen wilden Insel
unverhofft mediterran
Ziegenböcke
ringsum wechselndes Gewölk
grünes unten weißes oben
vor Seehausen über Klöckner
eine schwarze Wolke
Parallel zur Spundwand auf der
aufgereiht die Möwen sitzen
hinterm Pappelparavent
ragt an ihrem Startgerüst perlenweiß
die Ariane
Zwischen roten Bojen
macht ein RoRo-Frachter
kriechend Fahrt stoppt
und fährt ganz langsam Karussell
um genau einhundertachtzig Grad
Und im angesonnten Wendebecken
längs der Insel mit den Ziegenböcken
drehen sich im Hintergrund jetzt
Windkrafträder spiegeln sich noch immer
Schlote Kargotürme Kräne
Möwen Enten Blesshuhn Schwäne
und ein Kormoran
18.9.2006
Dieser Mitschnitt wurde am 10. Oktober 2008 von Hella Streicher erstellt. Den Ort und die chaotischen Begleitumstände der Lesung schilderte sie einen Tag später in ihrem Blog.