Gedichte
Zur Zeit der Herbstfeuer
ihren beißenden Geruch in der Nase
bis heute
stellten wir Leitern an
Äpfel damals eine Kostbarkeit
kein einziger blieb am Boden
wir verputzten sie mitsamt dem Butzen
Apfelringe zum Trocknen aufgefädelt
Nascherei für lange Winterabende
Taumelflug der Blätter
legte Äste frei
und die Alten
ihre gebeugten Rücken
waren sichtbarer als sonst
abends läutete die Glocke
erster Flockenfall
13.9.2010
marquardt - 4. Jan, 17:23
Damals auf Reisen gehen
unmöglich
Dachböden boten Abenteuer genug
dorthin zog das Kind aus
das Staunen zu lernen
kein Dachboden war vor ihm sicher
sehen nur
nichts nehmen keine Spuren hinterlassen
wieder und wieder
einmal stieß der Junge unter einer Schräge
auf ein Buch achtlos hingeworfen vor langer Zeit
DANTE ALIGHIERI
DIE GÖTTLICHE KOMÖDIE
geheimnisvoll rätselhaft
mit vielen Bildern
Holzstichen
einmal ist keinmal hieß es im Märchen
von KATZ UND MAUS IN GESELLSCHAFT
ein einziges Mal wurde ich zum Dieb
in Gesellschaft mit Dante
meinem fortan gehüteten Schatz
heimlich gelesen
und mitten in der Weihnachtszeit dabei ertappt von der Inquisition
der Vater
riss dem Kind das Buch aus den Händen
die Ofentür auf und in heiligem Zorn
ES GIBT KEINE GÖTTLICHE KOMÖDIE
übergab er‘s dem Feuer
an seinem Arm hängend
vergeblich schrie und bettelte ich um Gnade
für DANTE
(nach vielen Jahren schenkte mir meine Schwester
die Manesse-Ausgabe von Dante Alighieri mit Illustrationen
nach Holzschnitten von Gustave Doré als späte Wiedergutmachung
zu Weihnachten)
2.1.2010
marquardt - 23. Dez, 15:59
Tannengrüße Fichtengrüße
grüne Grüße allerwärts
durch die Grünheit hetzen Füße
kalte unterm Glühweinherz
ein Geflimmer und Geglimmer
Augendrogen sind legal
um die Preise gleißt ein Schimmer
der verklärt die Qual der Wahl
frohen Herzens zu genießen
sei’s auch nur im Vorgenuss
besser ist’s als Blutvergießen
und versüßt den späten Frust
Tannengrüße Fichtengrüße
Kunst und Kebab Wurst und Tand
Kerzen gegen Wirtschaftskrise
Engel für das Abendland
und das Karussell das dreht sich
Frieden Freude überall
Heiligabend dann entlädt sich
endlich mit gewohntem Knall
was am letzten Tag des Jahres
gut geprobt ins Rennen geht
inkarniert Elementares
marktbewusst und aufgedreht
1-12-05
marquardt - 23. Dez, 15:53
Zwischen den Tagen
eine Lachmöwe
sang vom dritten Himmel
und aus dem letzten
einer Reihe von kleinen Bildern
trat diesmal nicht
mein schwarzes Hündchen
hatte sich einen Scherz erlaubt
sich zu verwandeln
trat das schwarze Hühnchen
trat heraus stakte stolz
in umgekehrter Richtung
stolzierte es davon
31.1.2011
marquardt - 29. Nov, 16:12
Kain tötete Abel
der Bruder den Bruder
wer tötete Hektor
Homer berichtet
es sei gewesen
der kalte böse Stahl
kein Richter verurteilt
Waffen wegen Mordes
Rufmord begeht
wer sieht und sagt
Soldaten können
Mörder sein
1.12.2008
marquardt - 25. Nov, 16:27
Die Würde des Menschen
ist unantastbar
halten wir uns daran
nur nicht dran rühren
würden wir
rein hypothetisch
die Würde antasten
von Menschen die
ohnehin also von Natur
keine haben
oder die Kranken
die doch so hilfsbedürftig
sind die Unberührbaren
wo kämen wir da hin
und wohin mit dem Schwarzen
unterm Fingernagel
wir werden uns doch die Hände
nicht selber schmutzig machen
wozu haben wir Gesetze
wozu haben wir Waffen
10.8.2007
marquardt - 25. Nov, 16:22
überdauert siebzig oder achtzig
oder neunzig unbiblische Jahre
mit steigender Tendenz
und was daran köstlich war
entzieht sich der Statistik
manche sterben auch jünger
sogar Kinder sterben
und manche werden
erst gar nicht geboren
22.1.2011
marquardt - 25. Okt, 09:19
Ich möchte wahrgenommen werden
aber nichts dafür tun
möchte erkannt werden
wenigstens an meinen Schuh'n
sieht mich denn keiner
ich hab die Augen zu
hört mich hier einer
kommt lasst mich in Ruh
ich möchte wahrgenommen werden
18.6.2011
marquardt - 11. Okt, 19:23
Nun also
noch in diesem Jahrhundert
nun also
in diesem Jahrzehnt
nun also
noch in diesem Jahr
nun also
in diesem Monat
nun also
noch in dieser Woche
nun also
in dieser Nacht
nun also
doch bei Tag
nun also
noch in dieser Stunde
nun also
jetzt
12.1.2009
marquardt - 6. Okt, 14:32
Ahasverisch auf zähflüssigem Asphalt
abgeschirmt vor dem Draußen
in seiner Luxusmonade
faradayschem Käfig
genießt er den Ausblick
Lichtbrechungen Gedanken
Einfälle
neben ihm auf dem Beifahrersitz
räkelt sich Raphael der ihn Tobi nennt
was ihm recht ist solange
das Navigationssystem nicht versagt
doch spätestens beim nächsten Ampelstopp
wird er ihn fragen wie er überhaupt
hier herein gekommen ist
und außerdem kann er schreien so laut er will
nirgendwo sonst
6.12.2001
marquardt - 1. Okt, 11:48